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Zenk, L., Windhager, F., Ettl-Huber, S. & Smuc, M. (2011). Kommunikationsflüsse im Bild. Medien Journal, 35/2, 50-61. (Preprint Version) Kommunikationsflüsse im Bild Dynamische Netzwerkvisualisierung in der internen Organisationskommunikation anhand des Fallbeispiels eines Universitätsinstituts Lukas Zenk lukas.zenk@donau-uni.ac.at Florian Windhager florian.windhager@donau-uni.ac.at Silvia Ettl-Huber silvia.ettl-huber@donau-uni.ac.at Michael Smuc michael.smuc@donau-uni.ac.at Donau-Universität Krems Department Wissens- und Kommunikationsmanagement http://www.donau-uni.ac.at/knowcomm Dr.-Karl-Dorrek-Straße 30 A-3500 Krems Abstract Die Stärken der Sozialen Netzwerkanalyse in der Darstellung tatsächlicher Kommunikationsflüsse und informeller Muster der Zusammenarbeit in Gruppen und Organisationen wurden bereits weitgehend diskutiert. Verschiedene Kombinationen von Methoden und Algorithmen stehen zu Verfügung, um kommunikative Beziehungsmuster zu erheben und als statische Netzwerke zu visualisieren. Die laufende Veränderung dieser Netzwerke über die Zeit bringt jedoch die Frage mit sich, wie diese Dynamiken sichtbar gemacht werden können. Im vorliegenden Artikel werden vier Methoden der dynamischen Netzwerkvisualisierung vorgestellt, um die Veränderung von sozialen Netzwerken visuell zu analysieren. Anhand des Fallbeispiels eines Universitätsinstituts wird deren Anwendung demonstriert und aufgezeigt, wie dadurch kommunikationswissenschaftliche Forschung in Organisationen unterstützt werden kann. Einführung „Die meisten Menschen werden in Organisationen geboren und in Organisationen ausgebildet, sie arbeiten in Organisationen, verbringen einen großen Teil ihrer Freizeit in Organisationen, und schließlich sterben sie in Organisationen und werden von Organisationen zu Grabe getragen“ (Kieser/Walgenbach 2007, V) Individuen finden sich in der modernen Gesellschaft auf zahllosen Ebenen in Strukturen und Prozesse von Organisationen eingebettet, die sich als zweckgerichtete und kommunikativ integrierte Systeme von ihrer Umwelt abgrenzen. Die Regeln und Strukturen der internen und externen Kommunikation sind dabei formal zur Erreichung der organisationalen Ziele gestaltet. Während formale Regeln der Aufbauorganisation die hierarchischen Abhängigkeiten und den Aufbau von Organisationseinheiten strukturieren, regeln Richtlinien der Ablauforganisation die Verknüpfung von arbeitsteiligen Handlungen zu Ketten der organisationalen Zielerreichung und Wertschöpfung. Im Rahmen der empirischen Kommunikations- und Organisationsforschung lassen sich beide Dimensionen, das heißt die spezifischen Muster der Aufbau- und Ablauforganisation, systematisch dahingehend analysieren, inwiefern sie in der Praxis des Arbeitsalltags den formalen Vorgaben folgen (vgl. Cross et al 2002). Im Gegensatz zu den oftmals idealisierten Vorgaben von existierenden Organigrammen und 2 Prozessmodellen werden hierbei nicht selten informelle Muster der internen Organisationskommunikation sichtbar, welche die Soll-Strukturen in substantieller Hinsicht konterkarieren (Rank 2003). Dies bedeutet, dass die informelle Praxis, mit der die Kommunikationsnetzwerke ihre Aufgaben real bearbeiten und bewältigen, für den idealisierenden Blick meist unsichtbar bleiben und formale Darstellungen auch kaum dabei helfen können, mögliche Probleme der Organisationskommunikation zu erkennen. „The fact that formal structural variables have failed to provide much explanatory power has led several scholars to question the utility of further research on formal structures. Rather, they have argued that it is preferable to study emergent structures because they better contribute to our understanding of organizational behaviour“ (Monge/Contractor 2003, 9). Die relevanten impliziten Netzwerke der Organisationskommunikation werden im Kontrast zu normativen Organigrammen und Prozessmodellen erst unter der empirischen Perspektive von relationalen Analyse- und Visualisierungsmethoden sichtbar (Borgatti 2003). Als spezifisch relationale Methode ist die Soziale Netzwerkanalyse mit ihrer Fokussierung auf empirisch erhobene Interaktionsmuster im Besonderen geeignet die Organisationskommunikation zu untersuchen (Zenk/Behrend 2010). Soziale Netzwerkanalyse ermöglicht die Erhebung von relationalen Mustern auf verschiedenen Ebenen der Kommunikation sozialer Einheiten (vgl. Windhager et al 2010). So können Teams, Abteilungen oder gesamte Organisationen unter den Fragen von theoretischer oder praktischer Hilfestellung (Wer fragt wen um Rat?), der Ausbreitung von Innovationen oder Gerüchten (Wer erfährt von wem Neuigkeiten?) oder der realen Kooperation (Wer arbeitet mit wem in welchen Projekten zusammen?) analysiert werden (siehe z.B. Götzenbrucker 2005; Rice 1994). Diese verschiedenen Fragestellungen können jeweils höchst unterschiedliche Muster der Kommunikation zutage fördern und ergeben kommunikative „Röntgenbilder“ einer Organisation. “Doctors use x-rays and CAT scans to diagnose the human body because they are quick, non-invasive procedures that provide good information for diagnosis of a wide range of possible medical conditions. We use SNA [Social Network Analysis] in a similar way, to scan or x-ray communication networks in a workplace and discover what is really happening inside complex organizations” (Falkowski/Krebs 2005, 5). Im Gegensatz zu radiographischen Visualisierungen stehen die statischen Bilder der Netzwerkanalyse jedoch im Speziellen vor der Herausforderung Veränderungen zu erfassen (Moody et al 2005). Denn kommunikative Strukturen befinden sich in 3 ständiger Bewegung – nicht zuletzt durch die Veränderungen von Umwelten und Märkten werden regelmäßige Anpassungen und Restrukturierungen erforderlich, die ihren Niederschlag in den Mustern der internen Kommunikation finden. Wie man nach Heraklit nicht zweimal in denselben Fluss steigen kann (vgl. Kranz 2004), so lässt sich auch dieselbe Organisation nicht zweimal untersuchen, da ihre Muster und Abläufe in analogen Formen des konstanten Wandels begriffen sind. Mit Bezug auf die Frage, wie diese substantielle Veränderung von Kommunikationsnetzwerken erfasst und analysiert werden kann, werden generell zwei einander ergänzende Vorgehensweisen der Netzwerkanalyse unterschieden: Die Analyse durch graphentheoretische Berechnungen und die Analyse über Visualisierungen (Zenk/Stadtfeld 2010). Die Berechnung von dynamischen Netzwerken baut auf komplexen stochastischen Verfahren auf, um Wahrscheinlichkeiten von Interaktionsmustern der Akteure numerisch zu analysieren (Breiger et al 2003; Snijders et al 2010). Die Visualisierung ermöglicht dem gegenüber einen relativ unmittelbaren Zugang zu den Informationswerten komplexer Netzwerke (Freeman 2000; Krempel 2005), dient der Gewinnung von Übersicht und kann dabei helfen, relevante Datenstrukturen für numerische Analysen zu identifizieren, sowie deren Ergebnisse wieder in einen größeren Kontext einzuordnen. Mit dem Ziel, die möglichen Synergien von oftmals unterschätzten visuellen Methoden und traditionellen numerischen Analyseverfahren sichtbar zu machen, legen wir in diesem Artikel den Schwerpunkt auf innovative Potentiale der visuellen Analyse dynamischer Netzwerke. Die folgenden Analysen beruhen auf einem visuellen Framework, das im Rahmen des Forschungsprojekts ViENA (Visual Enterprise Network Analytics1) entwickelt wurde und unterschiedliche Visualisierungsmethoden systematisch integriert. Nach einer allgemeinen Beschreibung werden die spezifischen Vor- und Nachteile dieser Methoden anhand der dynamischen Daten eines konkreten Fallbeispiels in einem Universitätsinstitut demonstriert. Als Conclusio werden die wichtigsten Ergebnisse im Hinblick auf kommunikationswissenschaftliche Fragestellungen zusammengefasst. Methoden der dynamischen Netzwerkvisualisierung Wie kann die Veränderung von Netzwerken über die Zeit erfasst und für die visuelle Analyse von ForscherInnen und AnwenderInnen optimal aufbereitet werden? In Abbildung 1 wird ein soziales Netzwerk als Übersicht (links) und im Detail (rechts) 1 FFG gefördertes Forschungsprojekt von 2009 bis 2012, URL: http://fitit-viena.org [2011-03-30] 4 gezeigt. Knoten repräsentieren die Akteure (hier: UniversitätsmitarbeiterInnen) und Kanten die Verbindungen (hier: aggregierte Kommunikationsbeziehungen innerhalb des Instituts). Durch unterschiedliche Layout-Algorithmen werden die Knoten und Kanten so angeordnet, dass Überlagerungen von Knoten vermieden, sowie Überschneidungen von Kanten minimiert werden. Durch diese Darstellungsregeln werden strukturelle Verdichtungen ebenso sichtbar wie die globale Struktur des Netzwerks (vgl. DiBattista et al 1994). Abbildung 1. Statisches Netzwerk von aggregierten Kommunikationsbeziehungen Um die zeitliche Veränderung von Netzwerken darzustellen, werden in der Folge zumindest zwei Phasen eines Netzwerks benötigt. Im Unterschied zu statischen Bildern sind bei dynamischen Visualisierungen die Kriterien der Wiederholbarkeit, Vergleichbarkeit und Stabilität der Layouts von essentieller Bedeutung (BenderdeMoll/McFarland 2006). Wiederholbarkeit besagt, dass dieselben Daten auch dieselben Visualisierungen erzeugen sollen, was bei den meisten Visualisierungsverfahren - mit Ausnahme der Methode der multidimensionalen Skalierung (MDS) - für statische Netzwerke aufgrund der Funktionsweise der sogenannten Spring embedder-Algorithmen nicht gegeben ist (vgl. Pfeffer 2010). Die relationale Gesamtstruktur (Topologie) des Netzwerks bleibt zwar immer gleich, die exakte Positionierung der Knoten kann sich aber aufgrund der multiplen LayoutLösungen ändern. Daher werden für die Vergleichbarkeit von verschiedenen zeitlichen Zuständen desselben Netzwerks Visualisierungen vorausgesetzt, bei denen die überwiegende Zahl an Knoten gleich bleibt. Damit im direkten Vergleich sowohl gleich gebliebene strukturelle Positionen wie auch Verschiebungen und Veränderungen ersichtlich werden können, ist der Faktor der Stabilität entscheidend. Kleine strukturelle Unterschiede im Netzwerk sollten nicht zu großen Layout-Veränderungen der gesamten 5 Visualisierung führen. Zu wenig Bewegungsspielraum der Knoten würde hingegen die aufgetretenen Veränderungen nicht mehr sichtbar machen. Die adäquate Auswahl dieses Stabilitätsfaktors wird unter dem Konzept der maintenance of the mental map (vgl. Eades/Lai 1991) zusammengefasst. In Abbildung 2 sind neben einem statischen Netzwerk vier Typen von dynamischen Visualisierungsmethoden zu sehen, die im Rahmen des Forschungsprojekts ViENA evaluiert und zur multiperspektivischen Nutzung in einen Software-Prototyp integriert werden. Da jede Methode spezifische Stärken und Schwächen der visuellen Analyse eröffnet, werden diese untenstehend im Vergleich diskutiert (vgl. Windhager et al 2011). Statisch 1) Animation 2) Layer Comparison 3) Layer Merging 4) 2.5D Layout Abbildung 2. Vier Visualisierungsmethoden für dynamische Netzwerke 1) Animation: Unter Animation wird die Transformation von einem gegebenen Zustand eines Netzwerks in seinen nachfolgenden Zustand verstanden, die wie ein Film die Veränderungen als visuelle Bewegung wiedergibt. Durch die Bewegung der Knoten wird für BeobachterInnen unmittelbar erfahrbar, wie stark sich Positionen im Netzwerk ändern. Die hohe Sensibilität der visuellen Bewegungswahrnehmung wirkt sich einerseits förderlich auf die Genauigkeit der Beobachtung aus (McGrath/Blythe 2004), andererseits erschwert die simultane Bewegung vieler Knoten die dynamische Analyse, da ein Vergleich von Anfangs- und Endzustand nur im Gedächtnis möglich ist und unser Wahrnehmungsapparat nicht dafür geeignet ist auf mehrere Bewegungen gleichzeitig zu fokussieren. 2) Layer Comparison: Die Methode der Layer Comparison beruht auf der parallelen Darstellung von zwei oder mehreren Netzwerken nebeneinander (siehe Prinzip der small multiples; Tufte 1983). Der Vorteil gegenüber der Animation ist die synchrone Sichtbarkeit der Netzwerke, die einen detaillierten Vergleich ermöglicht. Ein Nachteil, 6 speziell für die Analyse auf Monitoren, ist der notwendige Platz, sodass die Darstellung von mehreren Netzwerken entsprechend verkleinert werden muss und die Erkennbarkeit von Details stark reduziert wird. Außerdem wird den BetrachterInnen ein höherer Orientierungs- und Blicksteuerungsaufwand abverlangt, da deren Blicke oftmals über weite Strecken zwischen den Netzwerken hin- und herspringen müssen. 3) Layer Merging: Durch die Methode des Layer Mergings werden zwei oder mehrere Netzwerke übereinander gelegt, wodurch im Gegensatz zur Layer Comparison mehr Raum für Details bleibt. Es werden die visuellen Elemente von zumindest zwei Netzwerken integriert und beispielsweise durch unterschiedliche Farben codiert: gleich bleibende Relationen werden anders gefärbt als sich auflösende bzw. neu hinzukommende Elemente. Der Vorteil dieser Methode ist die gut erkennbare Darstellung von zeitlichen Veränderungen, als Nachteil sind verstärkte Überschneidungen und visuelle Überlagerungen zu nennen. 4) 2.5D Layout: Die vierte Visualisierungsmethode ist das 2.5D Layout, das die Veränderung von zweidimensionalen (horizontalen) Netzwerkbildern entlang einer vertikalen Zeitachse darstellt (Dwyer 2005). Die zeitlichen Schichten werden dabei übereinander gestapelt, um die strukturellen Veränderungen der Knoten als Spuren sichtbar zu machen (Kapler/Wright 2004). Der Vorteil dieses Layouts ist die ganzheitliche Erfassung der Kommunikationsbeziehungen, die aber auch gleichzeitig zum Nachteil werden kann wenn sich bei komplexen Datensätzen die Darstellungen gegenseitig überlagern. Aufgrund dieser komplementären Vor- und Nachteile der verschiedenen Visualisierungsmethoden kann nur eine Kombination aller Methoden mögliche „tote Winkel“ ausschließen (Baldonado et al. 2000). So werden auch im Forschungsprojekt ViENA alle vier Visualisierungsvarianten umgesetzt, um die Veränderungen von Organisationskommunikation zu visualisieren (vgl. Windhager et al. 2011). Um dies an einem empirischen Fallbeispiel zu demonstrieren, werden die Methoden im folgenden Kapitel auf den kommunikativen Netzwerkdatensatz eines Universitätsinstituts angewandt. Empirisches Fallbeispiel: Kommunikationsnetzwerke in einem Universitätsinstitut Im Zeitraum von 2009 bis 2010 wurde im Zuge des Forschungsprojekts ViENA ein Universitätsinstitut untersucht, um die Veränderungen seines kommunikativen Wissensnetzwerks über die Zeit visuell zu analysieren. Es kommen im Folgenden 7 Datensätze von zwei Phasen zur Darstellung, die im Abstand von drei Monaten erhoben wurden. Es wurden sowohl individuelle Attribute abgefragt (demographische Variablen, Wissen und Kompetenzen), als auch acht verschiedene kommunikative Relationen, wie beispielsweise „Wen fragen Sie um Rat bei fachlichen und inhaltlichen Fragen?“ oder „Mit wem entwickeln oder besprechen Sie neue Ideen?“. Insgesamt wurden Daten von 36 Personen erhoben (72% Frauen, 70% AkademikerInnen), wobei in beiden Phasen 30 Personen angestellt waren, während sich bei sechs Personen das Arbeitsverhältnis änderte (Neuanstellungen, Kündigungen und Karenzierungen). Zur Erhebung wurde ein Online-Fragebogen verwendet und mit Ausnahme von einer Person in einer Phase wurden alle Fragen vollständig ausgefüllt. Das Institut bestand aus drei Organisationseinheiten, einige MitarbeiterInnen waren zwei Organisationseinheiten zugeordnet. Für die Visualisierungen (Abbildung 3, 4 und 5) wurde ein spezieller Algorithmus (eine Kombination aus MDS und Springembedder) der Software Visone (Baur 2008) verwendet, bei dem die oben beschriebenen Kriterien für dynamische Netzwerkvisualisierungen weitgehend erfüllt werden, für die Visualisierung in Abbildung 5 wurde die Software GeoTime™ (Kapler/Wright 2004) verwendet und für die Darstellung von Netzwerken adaptiert. In Abbildung 1 wurde bereits ein aggregiertes Netzwerk gezeigt, bei dem mehrere Relationen verwendet wurden, um die häufigsten kommunikativen Verbindungen in beiden Phasen mit einem statischen Layout zu veranschaulichen. Auf der linken Seite zeigen sich im Überblick die dichteren Kommunikationsstrukturen innerhalb der drei Organisationseinheiten sowie einige Verbindungsbrücken zwischen den Clustern. Auf der rechten Seite lassen sich im Detail zumindest drei Schlüsselpositionen innerhalb dieses Netzwerks visuell identifizieren: Zentrale Akteure mit vielen Verbindungen innerhalb der Einheit (z.B. Akteure 6 und 12), verbindende Akteure zwischen den Einheiten (z.B. Akteure 1 und 7) und periphere Akteure, die weniger stark eingebunden sind (z.B. Akteur 5). Abhängig von der jeweiligen Aufgabe sind bestimmte Netzwerkpositionen für die beruflichen Anforderungen besser geeignet als andere. Für die operative Steuerung einer Einheit ist beispielsweise eine zentrale Position entscheidend (z.B. SekretärInnen), verbindende Positionen dienen der Abstimmung für das gesamte Institut (z.B. Führungskräfte) und periphere Akteure haben unter Umständen mehr Kontakte nach außen (z.B. Marketing) oder benötigen mehr Zeit außerhalb der täglich ablaufenden Kommunikationen (z.B. WissenschafterInnen). 8 Ausgehend von dieser statischen Übersicht kann auf Fragen der Veränderung fokussiert werden: Wie lässt sich das erste Netzwerk mit dem zweiten vergleichen? Hatten strategische und kommunikative Maßnahmen (wie z.B. Klausuren), die zwischen den Erhebungen durchgeführt wurden, eine Auswirkung auf die Struktur? Hierauf antworten die weiter oben beschriebenen Methoden der dynamischen Netzwerkvisualisierung, die nun an dem empirischen Fallbeispiel ihre Anwendung finden. 1) Die Methode der Animation benötigt generell eine Software, um Bewegungen darzustellen. In Abbildung 3 wird das Prinzip dieser Bewegungen durch Spurenverläufe gezeigt. Das erhobene Netzwerk der Wissensvertretung („Wer vertritt Sie in Ihren Wissensgebieten?“) wandelt sich dabei von seiner ersten Phase (graue Verbindungen) zum Netzwerk in der zweiten Phase (schwarze Verbindungen). Die Bewegung der Knoten im sozialen Raum wird dabei als Spur von der Ausgangsposition (kleiner hellgrauer Kreis) zur zweiten Position (großer dunkelgrauer Kreis) dargestellt. Auf der linken Seite zeigen sich damit deutlich die Bewegungen von Akteuren, die das Institut verlassen haben bzw. neu aufgenommen wurden, da sie sich über die Zeit aus dem Netzwerk bzw. in das Wissensnetzwerk hinein bewegen. Auf der rechten Seite zeigt sich eine Verdichtung der gemeinsamen Wissensgebiete (siehe die Bewegung der Akteure 4, 5 und 10 in die Mitte), Akteur 12 verließ in dieser Zeit das Institut. Durch diese dynamische Repräsentation lassen sich Einsichten in die Veränderung der kommunikativen Integration oder Desintegration von Wissenszentren gewinnen. Darauf aufbauend können strategische Maßnahmen wie gezielte Weiterbildungen, Einarbeitung neuer MitarbeiterInnen oder die Ausrichtung von Arbeitsgruppen geplant werden. Abbildung 3. Animation von Wissensnetzwerken als Bild. Die Spuren zeigen die Veränderung der sozialen Positionen von der ersten Phase in die zweite Phase. 9 2) Die Methode der Layer Comparison funktioniert über die parallele Darstellung der Netzwerkbilder von zwei oder mehreren Zeitpunkten. Wie in einer Bildergeschichte wird damit die Veränderung von links nach rechts ersichtlich. Da hierbei nur statische Visualisierungen in Form mehrerer Belichtungen aneinander gereiht werden (siehe Abbildung 1 und 2), erfolgt keine zusätzliche Abbildung zur Erläuterung. 3) Die Methode des Layer Mergings wird in Abbildung 4 auf der Basis eines Innovationsnetzwerks gezeigt („Mit wem entwickeln oder besprechen Sie neue Ideen?“). Die dunkelgrauen Verbindungen zeigen an, wer in beiden Phasen mit wem neue Ideen besprochen hat. Die hellgrauen Verbindungen zeigen Innovationsbeziehungen an, die sich verändert haben: Punktierte Verbindungen waren nur in der ersten Phase vorhanden, durchgezogene Verbindungen zeigen neue Interaktionen in der zweiten Phase an. Im rechten Ausschnitt zeigen die Akteure 6 und 9 beide eine hohe Anzahl an stabilen Innovationsbeziehungen, wobei Akteur 6 in der zweiten Phase mehrere Beziehungen durch das Ausscheiden von KollegInnen verliert und Akteur 9 im Gegensatz dazu mehr Beziehungen zu neuen KollegInnen aufbaut. Im Gegensatz zu Organigrammen, in denen sich in solchen Fällen nur die Namen ändern, werden hier die kommunikativen Effekte von Fluktuation deutlich sichtbar. Durch die genaue dynamische Analyse können in der Folge kritische Beeinträchtigungen der Innovationsprozesse erkannt und gegebenenfalls durch entsprechende Interventionen (beispielsweise Team-Meetings zum Brainstorming) kompensiert werden. Abbildung 4. Layer Merging für Innovationsnetzwerke mit stabilen Knotenpositionen. Dunkelgraue Linien markieren stabile Beziehungen über beide Phasen hinweg, hellgraue Linien zeigen Beziehungen in der ersten Phase (durchgezogen) bzw. zweiten Phase (punktiert) an. 10 4) Die Methode des 2.5D Layouts visualisiert in Abbildung 5 die Dynamik von intensiven Kooperationsbeziehungen („Mit wem haben Sie in den letzten drei Monaten intensiv zusammengearbeitet?“). Die obere Ebene zeigt das Kooperationsnetzwerk der ersten Phase, die untere Ebene das der zweiten Phase. Die vertikalen Verbindungen veranschaulichen als visuelle Spuren die Bewegung der sozialen Position von einzelnen Akteuren. Eine stärkere Schräglage der Spuren macht dabei unmittelbar stärkere Änderungen sichtbar. Auf der linken Seite ist die Kooperationsdynamik des gesamten Instituts zu sehen, wobei die drei Organisationseinheiten in unterschiedlichen Grautönen dargestellt sind und personelle Fluktuation über den Abbruch bzw. die Emergenz von neuen Spuren kenntlich wird. Rechts zeigt sich über das Auseinanderstreben der Spuren eine Diversifizierung der kooperativen Prozesse der ausgewählten Organisationseinheit, was auf den erfolgreichen Ausbau von Brückenfunktionen mit dem Rest des Instituts verweist. Desweiteren treten starke Veränderungen von einzelnen Akteurspositionen hervor (z.B. Akteur 28), die unter anderem aufgrund von neuen Projekten und Prozessabläufen stärker in die Organisationseinheit integriert wurden. Diese Darstellung ist vor allem in interaktiven Modellierungsumgebungen aufschlussreich, bei der im Zuge der visuellen Exploration nicht nur einzelne Bereiche vergrößert, sondern auch die gesamte Perspektive um verschiedene Achsen rotiert werden kann. Abbildung 5. 2.5D Layout der Kooperationsnetzwerke mit der Software GeoTime™. Conclusio Organisationen formieren und entwickeln sich in einer konstanten Vernetzungs- und Kommunikationsdynamik, deren komplexe Fließmuster in formalen Strukturen nicht erkennbar sind, sondern neue Methoden erfordern, um sie zu untersuchen. Aus diesem 11 Grund wurde im Forschungsprojekt ViENA ein visuelles Framework entwickelt, das die Perspektiven der Animation, der Layer Comparison, des Layer Mergings und des 2.5D– Layouts integriert, um die Dynamik von Netzwerken für die visuelle Analyse aufzubereiten. Dieses Framework wurde im Rahmen einer empirischen Fallstudie an einem Universitätsinstitut zum Einsatz gebracht, um die Veränderung von sozialen Positionen in Wissens-, Innovations- und Kooperationsnetzwerken multiperspektivisch zu analysieren. Die dabei entstandenen Einsichten geben einen ersten Einblick in das Potenzial, wie Entscheidungs- und Managementprozesse in sozialen Netzwerken auf mehreren Ebenen analytisch unterstützt werden können. Zur praktischen Weiterentwicklung der dynamischen Netzwerkvisualisierung innerhalb von Organisationen wird ein Software-Prototyp entwickelt, mit dem die Visualisierungen interaktiv exploriert werden können. Zusätzlich werden Modelle und Daten von Unternehmensprozessen genutzt, um neben der Dynamik der kooperativen Aufbauorganisation auch strukturell relevante Ereignisse und Handlungsketten der Ablauforganisation in den Blick zu bekommen. Für die Felder der Kommunikations- und Managementwissenschaften öffnen sich mit diesem Instrumentarium zahlreiche Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen. Die visuellen Analysen können unter anderem die Planung und Durchführung von Kommunikationsmaßnahmen unterstützen und ermöglichen auf der Basis empirischer Kommunikationsdaten die Evaluierungen von sozialen Interventionen (z.B. Teamentwicklungen) oder Restrukturierungen (z.B. Post-Merger-Integrationen). So können bildgebende Verfahren sowohl im Bereich der Grundlagenforschung wie auch in diversen organisationalen Praxisfeldern die Erforschung und Gestaltung von sozialen Systemen begleiten. Gerade die Komplexität der dabei zu erwartenden Datensätze kann hier als Argument für Ansätze der visuellen Analyse gewertet werden, da die Verbindung der enormen Rechenleistung von Computern mit der hervorragenden Fähigkeit der menschlichen Wahrnehmung und Mustererkennung neue Analysepotentiale erschließt. So werden ideale oder kritische Strömungen von Kommunikationsflüssen sichtbar, die für ForscherInnen und Organisationsmitglieder Fokus für weitere Untersuchungen oder Maßnahmen sein können. 12 Literatur Baldonado, Michelle/Woodruff, Allison/Kuchinsky, Allan (2000): Guidelines for using multiple views in information visualization. In: Proceedings of the working conference on advanced visual interfaces, New York: ACM Press, 110-119. 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